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Aus 5 mach 1: Dynamik in der Normung

In der neuesten Ausgabe des DVS MAGAZINs, die im Dezember 2022 erscheint, werfen wir einen Blick auf viele einzelne Bereiche der Füge-, Trenn- und Beschichtungstechnik, die der DVS seit seiner Entstehung vor 125 Jahren dynamisch vorangebracht hat. Maßgeblich daran beteiligt sind und waren Menschen, die sich im Verband haupt- und ehrenamtlich engagieren. Von vielen von ihnen geht ein starker Impact für ihren Fachbereich aus, den sie in ihrer täglichen Arbeit in das DVS-Netzwerk zurückgeben. Einer von ihnen ist Dipl.-Ing. Jochen W. Mußmann.

Er ist Experte für die Normung in der Schweißtechnik. Ehrenamtlich engagiert er sich u. a. als stellvertretender Obmann des DVS/DIN-Gemeinschaftsausschusses „Qualifizierung von Personal für das Schweißen und verwandte Verfahren“ sowie als Mitglied des Beirats des DIN-Normenausschusses Schweißen und verwandte Verfahren (NAS). Mit mehr als 35 Jahren Tätigkeit im Stahlbau, Anlagen-, Apparate- und Rohrleitungsbau als verantwortlicher Schweißfachingenieur nach DIN EN ISO 14731, verantwortliche Schweiß- und Prüfaufsicht nach DIN EN ISO 3834 und nach AD 2000 kennt er sich mit allem aus, was die Schweißtechnik, die Wärmebehandlung oder die Prüftechnik zu bieten haben.

In seinem Gastbeitrag, den er für dvs-home.de verfasst hat, erklärt er, warum eine Norm, eine DVS-Richtlinie oder ein -Merkblatt nicht „in Stein gemeißelt“, sondern ein dynamischer Prozess ist, und warum aus fünf Normen, die die Schweißtechnik betreffen, künftig eine werden soll.

Norm zur Schweißerprüfung

Ein gutes Beispiel für eine stetige Anpassung an den Stand der Entwicklung von Werkstoffen ist die Norm zur Schweißerprüfung. Die Geschichte der Schweißerprüfung für Stahl – zumindest in Deutschland – umfasst inzwischen fast 100 Jahre. Begonnen hat alles mit den ersten Anforderungen an Schweißer aus den „Werkstoff-Bauvorschriften für Landdampfkessel“ im Jahre 1926 und endet mit dem Erfolg im Jahre 2012, nämlich mit einer weltweit gültigen Schweißerprüfungsnorm für Stahl ISO 9606-1:2012.

Bei einem Streifzug durch die verschiedenen dabei veröffentlichten Vorgängernormen – wie DIN 2471, DIN 8560 und DIN EN 287-1 – wird die Wandlung der Anforderungen von einem „Universalschweißer“ hin zu einem gezielt qualifizierten Schweißer mit möglicherweise stark eingeschränktem Gültigkeitsbereich deutlich.

 

 

Quelle: pixabay.com

Schweißerprüfungsnorm im Wandel der Zeit

Zu Beginn der 1920er Jahre wurden überwiegend Kohlenstoff- und Kohlenstoff-Mangan-Stähle mit dem Gasschmelzschweißen und dem Lichtbogenhandschweißen verarbeitet. In den ersten Bauvorschriften gab es keine konkreten Anforderungen an – wie wir es heute nennen – Prüfstückabmessungen, Unregelmäßigkeiten und Bewertungskriterien.

In der ersten bekannten Schweißerprüfungsnorm DIN 8560 „Prüfung von Handschweißern für das Schweißen von Stahl“ von 1959 kamen dann schon Kesselblechqualitäten wie H I, H II, H III und H IV nach DIN 17155 und warmfeste Stähle wie 13 CrMo4 5 und austenitische Stähle hinzu. Auch wurden in dieser Ausgabe bereits normierte Prüfstückgeometrien, Probenformen für die Ertüchtigung und Kriterien für eine einheitliche Bewertung hinzugefügt.

Dass eine Normierung durchaus ein dynamischer Prozess ist, zeigt, dass diese Norm in den Folgejahren immer wieder an den Stand der damaligen Technik angepasst wurde:

  • DIN 8560, 1968-08, 22 Seiten: große Anpassung hinsichtlich Prüfstück, Probenform, Bewertung der Prüfstücke und Proben,
  • DIN 8560, 1978-01, 22 Seiten: Aufnahme der SI-Einheiten,
  • DIN 8560, 1982-05, 26 Seiten: Einführung der Sonderprüfungen „X“  


Später erschien dann auch die erste Norm für die Prüfung von Schweißern an Nichteisen-Metallen DIN 8561:1974-02 „Prüfung von NE-Metallschweißern“.

Im Zuge des Zusammenwachsens Europas wurde im Jahr 1992 die erste europäische Norm zur Prüfung von Schweißern an Stahl veröffentlicht. Der Grundgedanke des Aufbaus der DIN 8560 blieb erhalten: Schweißverfahren, Halbzeugart, Wanddickenbereich. Jedoch flossen zusätzlich viele weitere Parameter ein: Nahtart, Umhüllungstyp der Elektrode beim Lichtbogenhandschweißen, Durchmesser des Prüfstückes Rohr, Schweißpositionen, Besonderheiten der Nahtausführung.

In 5 Werkstoffgruppen eingeteilt

Die Einteilung der Werkstoffe erfolgte in fünf Werkstoffgruppen, die sich in der Erstausgabe von EN 287-1 auf die Stahlgruppeneinteilung nach EN 288-3:1992 (W01, W02, W03, W04 und W11) bezogen. Es soll der Wunsch der Industrie gewesen sein, Schweißerinnen und Schweißer nicht mehr umfassend zu qualifizieren, sondern mit Prüfungen nur noch für die in der Fertigung wirklich benötigten Schweißverfahren, Werkstoffe, Halbzeuge und – besonders – Positionen zu qualifizieren. Die Bewertung erfolgt hier erstmals ebenfalls auf Basis einer europäischen Norm, damals mit ISO 5817 bezeichnet.

Neue Fassungen und Anforderungen an den Markt
 

Bereits fünf Jahre nach der Erstveröffentlichung wurde 1997 eine neue Fassung veröffentlicht, die im Wesentlichen eine Aktualisierung auf die Prüfnormen beinhaltete, so auch der Verweis auf die europäische Bewertungsnorm EN 25817.

In der Fassung 2004 wurde die Einteilung der Werkstoffe in die neuen Werkstoffgruppen nach CR ISO 15608 vorgenommen. Überarbeitet wurden ebenso die Geltungsbereiche von Rohrstumpfnähten und Kehlnähten sowie der Geltungsbereich für die Schweißpositionen.

Mit Ausgabe 2006 wurde bezogen auf die Bewertungsnorm EN ISO 5817 der Winkelversatz für die Bewertung einer Schweißerprüfung bewusst ausgeschlossen. Die letzte Ausgabe aus dem Jahr 2011 dieser erfolgreichen Norm präzisierte die Forderungen nach Kehlnahtprüfungen für den Stahlbau, die neu aufgenommenen Schweißpositionen aus DIN EN ISO 6947 PH und PJ flossen ein, die Möglichkeit eines ergänzenden Kehlnahtprüfstückes zur Stumpfnahtprüfung wurde aufgenommen und u. a. die Anforderung des Winkelversatzes gestrichen.

Damit endet zwar die Geschichte der europäischen Normung für Schweißerprüfungen, aber mit großer Dynamik ging es dann in die große Welt hinaus.

 

 

 

Weltweit gültiger Standard

Mit der DIN EN ISO 9606-1 von 2012 stand nach langwierigen Sitzungen ein internationaler Standard weltweit einheitlich zur Verfügung. Der deutlichste Unterschied zum bisherigen System der Schweißerqualifizierung – sei es nun in der „alten“ DIN 8560 von 1982 oder allen Ausgaben von EN 287-1 der Jahre 1992, 1997, 2004, 2006 und 2011 – liegt in der Zuordnung des Geltungsbereichs auf Basis des bei der Prüfung verwendeten Schweißzusatzes. Nicht mehr der Grundwerkstoff, sondern der verwendete Schweißzusatz ist führend.

Dieser auf den ersten Blick etwas merkwürdig anmutende Versuch ist bei näherem Hinsehen jedoch einleuchtend. Es geht um den Nachweis des Schweißers, den Zusatzwerkstoff beherrschen zu können. Diese Fähigkeit wiederum ist bestimmt vom Tropfenübergang, vom Fließverhalten und von dem Benetzungsverhalten des Schweißzusatzes. Eine deutliche Veränderung gab es in Abschnitt 9.3 „Verlängerung der Gültigkeit“. Neu in dieser Ausgabe (als eine von insgesamt drei Möglichkeiten zur Verlängerung einer abgelegten Prüfung) war, dass eine Prüfung nunmehr drei statt bislang zwei Jahre gültig war.

Aus der anfangs angesprochenen Schweißerprüfung DIN 8561 für Nichteisen-Metalle entwickelten sich im Rahmen der Europäischen Normung dann die bekannte Normenreihe EN 287 mit dem Teil 2 für Aluminium und Aluminiumlegierungen, Teil 3 für Kupfer und Kupferlegierungen, Teil 4 für Nickel und Nickellegierungen, Teil 5 für Titan und Titanlegierungen und Teil 6 für Gusseisen. Fast die gesamte Normenreihe EN 287 wurde dann in den Jahren 1999 bis 2012 in internationale Normen DIN EN ISO 9606 Teile 2 bis 5 überführt. Einzig für Gusseisen blieb es bei DIN EN 287-6. Wenn das nicht Dynamik ist?

Damit zusammenkommt, was zusammengehört?

Seit Mai 2017 gibt es in den internationalen Sitzungen des zuständigen ISO-Gremiums (ISO/TC 44/SC 11) Überlegungen, die Schweißerprüfung für alle Werkstoffe von Stahl, Aluminium, Nickel, Titan und Zirkonium in nur einer Norm zusammenzufassen. Seitdem beschäftigt sich das Gremium mit den ersten Entwürfen. Der jetzige Stand ist im Stadium eines Arbeitsentwurfes, also noch weit von der abstimmungsfähigen Schlussfassung entfernt. Aber mit dem gemeinsamen Mitwirken vieler und im Konsens aller daran Beteiligter heißt es in ein paar Jahren vielleicht: „Aus 5 wird 1 – Die neue Schweißerprüfungsnorm nach ISO 9606 – Damit zusammenkommt, was zusammengehört?!“

Normen geben Orientierung. Zu wissen, auf was sich Experten der Branche in einem Prozess geeinigt haben und was richtig ist, bietet Sicherheit für Unternehmen und Anwender. Nur so können Vertrauen und Innovationen am Markt entstehen.

Dipl.-Ing. Jochen W. Mußmann, Mitglied des Beirats des DIN-Normenausschusses (NAS)

Arbeitsgruppe Q5 „Qualifizierung von Personal für das Schweißen und verwandte Verfahren“

Die DVS-Arbeitsgruppe „Qualifizierung von Personal für das Schweißen und verwandte Verfahren“ ist eng verbunden mit dem DVS/DIN-Gemeinschaftsausschuss „Qualifizierung von Personal für das Schweißen und verwandte Verfahren“. Hier erarbeiten Fachleute aus Industrie und Handwerk sowie aus Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen DVS-Merkblätter und -Richtlinien, nationale und internationale Normen und weitere Regelwerke zur Qualifizierung von Schweißern, Bedienern, Einrichtern sowie Schweißaufsichtspersonen.

Herzlich eingeladen zur Mitarbeit sind alle Expertinnen und Experten aus diesem Bereich.

Arbeitsgruppe Q5

Ihr Kontakt im DVS

Ihr Ansprechpartner:
Dipl.-Ing. Michael Metzger